Kenntnis des Käufers vs. „Sandbagging“ – Regelungskonzepte und Haftungsrisiken

Das vertragliche Haftungskonzept im Rahmen eines Unternehmenskaufvertrags weicht zu weiten Teilen von den gesetzlichen Regelungen des Kaufrechts ab. Es ist ein Zusammenspiel von Garantieerklärungen, Offenlegungen des Verkäufers, Kenntnis des Käufers und die Definition des haftungsausfüllenden Tatbestands (Schadensbegriff, Haftungshöchstgrenzen, De-Minimis, Freibetrag etc.). Gemäß § 442 Abs. 1 BGB sind die Rechte des Käufers ausgeschlossen, wenn er den Mangel bei Vertragsschluss kennt. Diese Regelung ist dispositiv, das Konzept als solches entspricht aber jedenfalls für Transaktionen in Deutschland dem Marktstandard. Im internationalen Kontext wird hierüber aber intensiv und ergebnisoffen verhandelt. In den USA werden regelmäßig auch sogenannte pro-sandbagging clauses vereinbart, wonach Käuferwissen bei Vertragsschluss unschädlich ist. Nicht selten werden die Konzepte auch (unwillentlich) vermischt. Der nachfolgende Beitrag verschafft ein Überblick und bietet einen Vorschlag, wie die Konzepte vertraglich abgebildet werden können.

Kenntnis des Käufers vs. „Sandbagging“ – Regelungskonzepte und Haftungsrisiken

Das Haftungskonzept in Unternehmenskaufverträgen ist zunächst simpel. Der Verkäufer gibt sog. selbstständige Garantieversprechen ab und soweit sich diese als falsch herausstellen, haftet er gegenüber dem Käufer bis zu einer vereinbarten Haftungshöchstgrenze.

Diese Haftungskonzept wird jedoch ergänzt um weitere Aspekte, die allesamt ineinander greifen. Der Käufer führt eine (legal) Due Diligence (kurz: DD) durch, deren Ergebnisse den Garantiekatalog und den Risikoappetit des Käufers maßgeblich beeinflussen. Die Offenlegung vielfältiger Informationen im Rahmen der DD sowie der Verhandlung des Kaufvertrags sollen aus Verkäufersicht exkulpierende Wirkung haben. Dies erfolgt entweder durch die Einschränkung bzw. Konkretisierung der jeweiligen Garantie oder im Wege eines Anspruchsausschlusses bei Kenntnis des Käufers. Letzterer wird flankiert von bestimmten Klauseln, wonach Informationen, insbesondere der Datenrauminhalt, als dem Käufer positiv bekannt fingiert werden.

Im internationalen (vorwiegend US-amerikanischem) Kontext findet man das Konzept des sog. sandbaggings vor. Pro- oder anti-sandbagging Klauseln regeln, ob und inwiefern die Kenntnis des Käufers zum Ausschluss seiner Ansprüche führt. Sandbagging-Klauseln sind also das Pendant zur deutschen Regelung des Haftungsausschlusses bei Kenntnis des Käufers. Teilweise wird der Begriff „anti-sandbagging Klausel“ auch in Bezug auf eine bestimmte Käufergarantie verwendet, wonach der Käufer bestätigt, zum Abschluss des Kaufvertrags keine Kenntnis von Umständen zu haben, die im Widerspruch zu einer Garantie des Verkäufers steht (mehr dazu unten).

Insgesamt wird das vertragliche Haftungsregime dann weiterhin begleitet von gesetzlich nicht dispositiven Rechtsfiguren wie z.B. der Angabe ins Blaue hinein, die – bei Vorliegen der Voraussetzungen – zu einer unbeschränkten Haftung des Verkäufers führt. Das Ziel eines klaren, ausgewogenen Konzepts zwischen Käufer und Verkäufer erreicht nur, wer den Überblick über die verschiedenen Instrumente behält.

Garantieerklärungen und Rechtsfolgen

Dreh- und Angelpunkt des vertraglichen Haftungskonzepts sind die selbstständigen Garantieversprechen in Verbindung mit den Rechtsfolgeregelungen einer Garantieverletzung. Der Verkäufer erklärt, dass eine Reihe von Aussagen (die Garantien) zum Unterzeichnungstag (denkbar auch zum Vollzugstag) zutreffend sind. Sollten sich diese Aussagen im Nachhinein als unrichtig herausstellen, haftet der Verkäufer dem Käufer grundsätzlich auf Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands (Naturalrestitution). Da sich der rechtmäßige Zustand in der Regel nicht mehr wieder herstellen lässt, kann der Käufer vom Verkäufer Schadensersatz in Geld verlangen.

Die Berechnung des Schadensersatzes richtet sich dann zunächst nach der Definition des ersatzfähigen Schadens. Hierzu haben wir bereits einen Beitrag verfasst, auf den verwiesen wird. In der Regel wird es um den Ersatz des unmittelbaren sowie mittelbaren Schadens gehen. Letzter oftmals nur, soweit er vernünftigerweise vorhersehbar war.

Weitere für die Bemessung des Schadensersatzes relevante Regelungen schließen etwaige Haftungshöchstgrenzen, De-Minimis Beträge, Freibeträge oder -grenzen und Verjährungsregelungen ein.

Rolle der Offenlegungen durch den Verkäufer

Im Zusammenhang mit einer anspruchshindernden Käuferkenntnis stellt sich immer wieder die Frage nach der Rolle der Offenlegungen durch den Verkäufer. Offenlegungen können auf verschiedenste Art und Weise erfolgen. Der Großteil der Offenlegungen erfolgt im Rahmen der DD über den Datenraum, den Q&A Prozess oder Expertensitzungen (sog. Expert Calls). Hier gemeint sind allerdings die Offenlegungen in Form von Anlagen (sog. Offenlegungsanlagen oder Disclosure Schedules) zum Garantiekatalog im SPA (Share Purchase Agreement; Kaufvertrag).

Bei diesen Offenlegungsanlagen geht es zwar auch darum, eine etwaige Informationsasymmetrie zwischen Käufer und Verkäufer zu überbrücken. Mit dem Prinzip des Haftungsausschlusses bei Kenntnis der Käufer haben sie allerdings nichts zu tun.

Garantieerklärungen sind in der Regel abstrakt-generell formuliert. Selten treffen jedoch abstrakt-generell formulierte Aussagen auf ein zu verkaufendes Unternehmen zu. Daher werden Garantien von Anlagen begleitet, die dazu dienen, die Garantie zu konkretisieren.

Sie können so ausgestaltet sein, dass sie der Garantieerklärung erst ihre Bedeutung verleihen (Bsp.: Schedule [●] contains a complete list of…). Ohne die entsprechende Anlage, läuft die Garantieerklärung folglich ins Leere.

Die Offenlegung kann jedoch auch als Einschränkung einer ansonsten pauschalen Garantieerklärung formuliert sein (Bsp.: The Company owns all of the Owned Real Property free and clear of encumbrances, other than as listed in Schedule [●]). In diesen Fällen geht es nicht darum, den Sinngehalt der Garantie zu definieren, sondern eine Ausnahme von einer abstrakten Garantieerklärung zu formulieren. Da die Offenlegungsanlage den Erklärungsgehalt der Garantieerklärung einschränkt, kann der hierbei offengelegte Umstand schon gar keine Garantieverletzung begründen. Es besteht also kein Anspruch wegen Garantieverletzung, der in einem zweiten Schritt wegen Kenntnis des Käufers ausgeschlossen sein könnte.

Haftungsausschluss bei Kenntnis des Käufers

Das Prinzip des Haftungsausschlusses bei Kenntnis des Käufers besagt, dass ein Käufer im Falle der Garantieverletzung keine Ansprüche geltend machen kann, wenn er bei Abschluss des Kaufvertrages Kenntnis von dem Umstand hatte, der die Garantieverletzung begründet.

Für deutsche Anwälte ist das dieses Konzept völlig natürlich und ergibt sich bereits aus dem Gesetz.

§ 442 Abs. 1 BGB: Die Rechte des Käufers sind ausgeschlossen, wenn er den Mangel bei Vertragsschluss kannte.

So deckt es sich wohl auch mit dem „deutschen“ Verständnis von Garantien. Sie sollen der Absicherung für unbekannte Ereignisse oder Umstände dienen, die bei Vertragsschluss vorlagen, aber erst nach Vertragsschluss bekannt werden. Im Kaufvertrag wird § 442 BGB allerdings regelmäßig ausgeschlossen. Dies liegt daran, dass § 442 Abs. 1 S. 2 BGB sich auch auf die grob fahrlässige Unkenntnis erstreckt, was für Unternehmenskaufverträge nicht die Regel ist. Im Übrigen wird das Konzept aber in vertraglich gespiegelt.

In Ergänzung dieser Regelung wird der Kaufvertrag Vereinbarungen darüber enthalten, auf wessen Kenntnis auf der Käuferseite es hier ankommen soll. Die relevanten Personen werden mindestens die Mitglieder des Deal Teams sein. Möglich ist es auch Berater des Käufers aufzunehmen, mit denen im Rahmen der Transaktion in erheblichem Umfang deal-bezogen kommuniziert wurde (z.B. M&A Berater oder federführender Anwalt).

Inhaltlich geht es vor allem um Informationen, die im Rahmen der Transaktion mit dem Käufer geteilt oder ihm bekannt wurden. Der Kaufvertrag wird häufig sogar eine Fiktion beinhalten, dass bestimmte Informationen dem Käufer als bekannt gelten. Hierzu gehört der Inhalt des Kaufvertrags, der Inhalt des Datenraums, die Inhalte des Q&A Prozesses sowie die Inhalte des verkäuferseitig zur Verfügung gestellten Infomaterials (CIM, vendor reports, fact books, etc.). Für eine Reihe von Informationen kommt es auf die positive Kenntnis des Käufers also gar nicht an. Für den Käufer ist dies eine überaus nachteilige Regelung, die jedoch mit folgendem Kompromiss ausbalanciert werden kann: Die Kenntnis-Fiktion soll nur insofern gelten, wie die relevanten Inhalte „fairly disclosed“, also in angemessener Weise offengelegt wurden. Die Definition von „fair disclosure“ kann dann zwischen verkäufer- und käuferfreundlich nahezu stufenlos justiert werden.

Wie schon angedeutet ist dieses Prinzip im internationalen Kontext allerdings alles andere als selbstverständlich. In den USA z.B. wird über das Pendant, das sog. „sandbagging“, ergebnisoffen verhandelt.

Sandbagging – Kenntnisausschluss aus internationaler Perspektive

Der Begriff des Sandbaggers kommt vermeintlich aus dem Golfsport und bezeichnet einen Spieler, der vorgibt schlechter zu sein als er ist, um ein günstigeres handicap und damit bessere Gewinnchancen zu erhalten. Übertragen auf den Unternehmenskauf geht es um einen Käufer, der eine etwaige Kenntnis von Widersprüchen zu den Garantieerklärungen vor Vertragsschluss verschweigt. Dies tut er, um nach Abschluss des Kaufvertrags Schadensersatz zu verlangen und so den Kaufpreis nachträglich zu reduzieren.

Während für deutsche Anwälte der Haftungsausschluss bei Kenntnis nahezu selbstverständlich ist, wird im internationalen Kontext oft intensiv darüber verhandelt, ob das sandbagging ausgeschlossen oder grundsätzlich möglich sein soll. Argumente, die pro sandbagging angeführt werden, beinhalten u.a., dass man sich später nicht darüber streiten soll, ob der Käufer Kenntnis hatte bzw. ob Informationen „fairly disclosed“ waren oder nicht. Weiterhin fördert eine pro-sandbagging Klausel die Offenlegung im Rahmen der Garantieerklärung, was Klarheit darüber verschafft, welche Umstände nicht von den Garantien erfasst sein sollen. Schließlich sind M&A Prozesse komplex und keine Due Diligence perfekt. Dementsprechend will ein Käufer den pauschalen Haftungsausschluss bei Kenntnis nicht akzeptieren, weil er die vorhandenen Information in kurzer Zeit nicht abschließend verarbeiten oder bewerten kann.

Im Ergebnis haben das sog. sandbagging und der Haftungsausschluss bei Kenntnis des Käufers denselben Regelungsgegenstand, nur dass über das Konzept des sandbaggings tatsächlich ergebnisoffen verhandelt wird. In Bezug auf den Haftungsausschluss bei Käuferkenntnis beschränkt sich die Verhandlung regelmäßig auf die kenntnisrelevanten Personen, die Kenntnisfiktion und die Definition von Fair Disclosure.

Exkurs: Sog. „Anti-Sandbagging“ Garantie

Teilweise findet man in „deutschen“ Transaktionen eine Garantieerklärung des Käufers, wonach der Käufer bestätigt, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Kenntnis von Umständen hat, die zur Unrichtigkeit einer Verkäufergarantie führen. Diese Käufergarantie wird häufig ebenfalls als „anti-sandbagging“ Klausel bezeichnet.

Die beabsichtigte Funktionsweise dieser Klausel ist allerdings nicht ganz klar. Möglicherweise ist beabsichtigt, dass der Käufer sich seinerseits schadensersatzpflichtig machen würde, wenn er eine Garantieverletzung geltend macht, die auf einem Umstand beruht, der dem Käufer bei Vertragsschluss bekannt war. Der Anspruch des Verkäufers auf Schadensersatz würde sich dann voraussichtlich decken mit dem Anspruch des Käufers auf Schadensersatz wegen Garantieverletzung. Die Ansprüche würden sich dann theoretisch gegenseitig ausschließen.

Sofern dieser Effekt tatsächlich beabsichtigt ist, ergibt die Garantie jedenfalls dann keinen Sinn, wenn die Haftung des Verkäufers bei Kenntnis des Käufers ohnehin ausgeschlossen ist. Ist das hingegen nicht der Fall oder sieht der Vertrag im Gegenteil eine pro-sandbagging Klausel vor, könnte man über eine entsprechende Käufergarantie nachdenken. Gegebenenfalls kann man so einen Kompromiss gestalten, wonach die Kenntnis des Käufers grundsätzlich unschädlich sein sollte, es sei denn der Käufer hat bei Vertragsschluss eine konkrete Garantieverletzung im Sinn und will hierdurch im Nachhinein den Kaufpreis reduzieren. Das würde allerdings vertragstechnisch eine präzise Abstimmung der pro-sandbagging Regelung und einer solchen Käufergarantie erfordern.

Fazit

Der Begriff „Sandbagging“ meint nichts anderes als die vertragliche Regelungen darüber, ob die Kenntnis des Käufers bei Vertragsschluss potenzielle Ansprüche wegen Garantieverletzung ausschließen soll oder nicht. Im Kontext deutscher Transaktionen entspricht der Haftungsausschluss bei Kenntnis des Käufers dem Marktstandard. Im internationalen Kontext wird hierüber intensiv verhandelt. Eine Käufergarantie, wonach der Käufer keine Kenntnis von garantieverletzenden Umständen bei Vertragsschluss hat, ergibt in Verbindung mit einer anti-sandbagging Regelung keinen Sinn. Auch im Übrigen ist der Regelungszweck kritisch zu hinterfragen und ggf. vertragstechnisch präzise abzubilden, um Widersprüche zu vermeiden.

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